· 

Die Hollenacht (05.-06. Januar)

Die Hollenacht – eine Nacht, in der die Welt den Atem anhält und sich die uralten Mächte der Rauhnächte ein letztes Mal über die Erde legen. Es ist der tiefste Moment des Winters, der Übergang von Dunkelheit zu Licht, und die Stunde, in der die Göttin Holle, die Hüterin von Leben und Tod, ein letztes Mal durch die Lande streift. In dieser Nacht, vom 5. auf den 6. Januar, schließt sich das Tor zur Anderswelt, doch bevor es ganz versiegelt wird, strömt eine letzte Welle von Magie in die Welt – roh, ungezähmt und voller Geheimnis.


Die Luft ist schwer von Erwartung, und ein tiefer, fast ehrfürchtiger Nebel liegt über den Obstgärten. Die alten Bäume, die das Leben des kommenden Jahres tragen sollen, schlafen noch tief, als würde der Frost sie mit eisigen Ketten festhalten. Doch die Hollenacht duldet kein Verweilen in der Erstarrung. Es ist die Nacht der Erweckung, und die Menschen ziehen mit Flammen, Glocken und leisen Gesängen hinaus in die Dunkelheit, um die alten Hüter der Fruchtbarkeit zu wecken.


Unter den kahlen Ästen, die sich wie knorrige Finger gegen den Sternenhimmel recken, spricht man den Segen – leise, fast flüsternd, damit die Geister der Nacht ihn hören:


"Erwach’, du Alter, Stamm und Wurzel,

im Namen der Holle, der Herrin des Wandels.

Lass Säfte fließen, lass Leben erblühen,

lass Früchte reifen, die Erde sich fügen.

So segne ich dich mit Licht und Klang,

auf dass du gedeihest ein Leben lang."


Mit jedem Satz wird gegen die Stämme geklopft, sanft, aber bestimmt, um die Wintergeister zu vertreiben. Manche sagen, sie hören dabei ein fernes Flüstern – Worte, die niemand versteht, aber die klingen wie das Echo von Holles eigener Stimme, die tief aus der Erde zu kommen scheint.


Die Hollenacht birgt Geheimnisse, die nicht vollständig zu ergründen sind. Es heißt, die Seelen der Ahnen ruhen in dieser Nacht nah bei den Wurzeln der Bäume, und wer aufmerksam lauscht, kann ihre Geschichten in den knarrenden Ästen hören. Doch nicht jeder darf sie verstehen, denn die Sprache der Hollenacht ist eine, die nur die mutigsten Herzen erfassen können.


Wenn die letzte Glocke verstummt und die ersten Strahlen des Morgens die Dunkelheit brechen, kehrt eine tiefe, heilige Stille ein. Die Bäume erwachen, und in der kalten, klaren Luft liegt das unbeschreibliche Gefühl eines Neubeginns. Es heißt, die Magie der Hollenacht bleibt in den Gärten, verborgen im Rauschen der Blätter und im süßen Duft der künftigen Blüten – ein leiser, ewiger Segen, der über die, die glauben, wacht.



Kommentar schreiben

Kommentare: 0